Gutes Leben | Stadtgespräch

Erinnerung an NS-Verfolgte: 36 neue Stolpersteine in Oberhausen

Sie erinnern an die Opfer der Nationalsozialisten: die „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig. Jetzt sind in Oberhausen 36 neue kleine Denkmäler dazu gekommen. Am Mittwoch und Donnerstag, 21. und 22. Februar, haben der Künstler und Unterstützerinnen und Unterstützer 36 Stolpersteine an 13 Orten im Stadtgebiet verlegt. Die Stolpersteine erinnern auch in diesem Jahr an vielfältige Verfolgungsschicksale – Euthanasie-Opfer, Widerständler, Jüdinnen und Juden und Menschen, die einfach nur einen verbotenen Radiosender gehört haben.

23.02.2024

Am ersten Tag der Aktion war Künstler Gunter Demnig selbst in Oberhausen und verlegte die ersten Stolpersteine. Auch in diesem Jahr waren in einigen Fällen Nachfahren bei den kleinen Gedenkfeiern am jeweiligen Verlegeort dabei. Viele der Vorschläge für neue Erinnerungssteine kommen von Angehörigen.

Bei der umfangreichen Recherchearbeit zu den Biografien der verfolgten Oberhausenerinnen und Oberhausener und der Vorbereitung der Verlegungen wird die Gedenkhalle Oberhausen von zahlreichen Schulen unterstützt. Das Bertha-von-Suttner-Gymnasium, die Anne-Frank-Realschule, die Heinrich-Böll-Gesamtschule und das Hans-Böckler-Berufskolleg haben geholfen, das Leben vieler Verfolgter nachzuzeichnen. Die Anne-Frank-Realschule hat bei der Aktion in diesem Jahr beispielsweise recherchiert, dass eine Großtante von Anne Frank, Mathilde Holländer, in Oberhausen geboren wurde und hier bis 1938 gelebt hat. Sie war die Tochter von Eduard Berg. Nach ihm ist in der Innenstadt der Platz an der Markstraße/Ecke Goebenstraße benannt. Mathilde Holländer gelang die Flucht vor den Nationalsozialisten nach Peru. Dort starb sie 1960 in Lima.

Zusätzlich recherchierten die GEW-Stolpersteingruppe, die „Omas gegen Rechts“ und der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) weitere Schicksale. „Ohne die große Unterstützung aus der Stadtgesellschaft wäre die jährliche Beteiligung an dem Stolpersteinprojekt nicht möglich“, betont Claudia Stein von der Gedenkhalle. Die Wirtschaftsbetriebe Oberhausen verlegen die Stolpersteine so ordentlich, dass tatsächlich nur das Auge über sie stolpert.

Die Oberhausener Stolpersteine sind in der App des WDR „Gegen das Vergessen“ abrufbar. Bei der Vervollständigung der Datenbank über Oberhausener Opfer haben Kurse der Gesamtschule Osterfeld und der Gesamtschule Weierheide unterstützt, durch eigene Texte und Graphic Storytelling, also Geschichten, die in Zeichnungen erzählt werden.

Nähere Informationen zu den Einzelschicksalen finden Interessierte auf der Homepage der Gedenkhalle (www.gedenkhalle.de). Dort kann man auch die Info-Broschüren zu den Verlegungen einsehen und herunterladen.

Hintergrund: Im Mai 2023 vermeldete Gunter Demnig die Verlegung des 100.000 Stolpersteins. Seit 1997 verlegt der Künstler diese Steine in Erinnerung an das Schicksal der NS-Verfolgungsopfer in ganz Europa. Die Stadt Oberhausen beteiligt sich seit 2008 an diesem Projekt, das mittlerweile als größtes dezentrales Mahnmal der Welt gilt. Die Stadt Oberhausen erinnert mit den Stolpersteinen nun an insgesamt 314 Verfolgungsopfer.

Kunst & Kultur | Stadtgespräch

Stadt Oberhausen gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus

Mit einer Gedenkstunde am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hat die Stadt Oberhausen den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Schülerinnen und Schüler von acht Oberhausener Schulen gestalteten das Gedenken, zu dem auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung gekommen waren.

30.01.2024
Foto: Schülerinnen und Schüler bei der Gedenkstunde am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium

In seiner Rede betonte Oberbürgermeister Daniel Schranz, warum das Gedenken, das Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus auch 79 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft wichtig ist. Schranz führte den Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 an – mit 1.200 ermordeten Jüdinnen und Juden das größte antisemitische Pogrom seit Ende des Holocaust. „Wir müssen die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus hochhalten, weil wir nicht vergessen dürfen, wozu dieser antisemitische Hass schon einmal geführt hat – und wozu er wieder führen kann, wenn wir es nicht verhindern“, mahnte der Oberbürgermeister.

Oberbürgermeister erinnert an alle von Nationalsozialisten verfolgten Gruppen

Schranz verwies in seiner Rede auch auf die sprunghaft angestiegene Zahl antisemitischer Straftaten. In den knapp drei Monaten vom 7. Oktober bis zum Jahresende 2023 zählte das Bundeskriminalamt in Deutschland 2.249 solcher Taten – im ganzen Jahr 2022 waren es 2.640 gewesen. „Wegen unserer Geschichte, wegen des in Deutschland geplanten und von Deutschen begangenen Völkermordes an mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Europa“, sei die Bundesrepublik eben nicht nur mitverantwortlich dafür, dass jüdische Menschen in Israel in Sicherheit leben können, sie müssten „natürlich auch in Deutschland in Sicherheit und Frieden leben können“.

Schranz bezog alle von den Nationalsozialisten verfolgten Gruppe in das Gedenken mit ein, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, oppositionelle Priester und Pastoren, Kommunisten und Sozialdemokraten, Regimegegnerinnen und -gegner, Andersdenkende und Homosexuelle.

Schülerinnen und Schüler gestalteten Gedenkstunde

Uwe Bleckmann, Direktor des Freiherr-vom Stein-Gymnasiums, verwies auf die Wichtigkeit der pädagogischen Arbeit in den Schulen: „Neben zahlreichen Gedenkstätten, Museen und Organisationen der politischen Bildung sind es vor allem Schulen und Hochschulen, denen die wichtige Aufgabe zukommt, die Erinnerung wach zu halten, einen anhaltenden, verantwortlichen Umgang mit unserer Geschichte zu pflegen, und daran zu arbeiten, dass Menschen eben nicht Opfer werden von Ausgrenzung, Benachteiligung, Diskriminierung und Verfolgung.“ Der Pädagoge fügte an: „Die Notwendigkeit hat leider gerade in der jüngsten Zeit wieder zugenommen und es macht nicht den Eindruck, dass dies an Aktualität verlieren könnte.“

Wer die Beiträge der Schülerinnen und Schüler zur Gedenkstunde sah, gewann den Eindruck, dass die Arbeit der Lehrerschaft — auch in Zusammenarbeit mit der städtischen Gedenkhalle — sehr erfolgreich ist. Jugendliche von der Gesamtschule Weierheide, vom Hans-Sachs-Berufskolleg, von der Fasia-Jansen-Gesamtschule und dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium, von der Anne-Frank-Realschule, dem Sophie-Scholl-Gymnasium, der Heinrich-Böll-Gesamtschule und vom Gastgeber Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hatten ganz unterschiedliche Programmpunkte vorbereitet.

Recherche ergibt: Anne Frank hatte Verwandtschaft in Oberhausen

Da war die erstaunliche Recherche an der Anne-Frank-Realschule: Schülerinnen und Lehrer haben herausgefunden, dass eine Großtante von Anne Frank in Oberhausen lebte und vor den Nationalsozialisten von der Helmholtzstraße nach Peru floh: An Mathilde Holländer wird ab dem Frühjahr ein neuer Stolperstein erinnern. Mehrere weitere Schulen stellten ebenfalls ihre Recherchen zu Menschen vor, auf deren Verfolgung durch die Nationalsozialisten Stolpersteine in Oberhausen hinweisen werden. Berührend erinnerte die kurze Inszenierung „Ich bereue nichts“ der Gesamtschule Weierheide an Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer.

Zu hören gab es einen Bericht und ein Gedicht von zwei Schülerinnen des Sophie-Scholl-Gymnasiums über die Exkursion ins ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Die Beiträge der Fasia-Jansen-Gesamtschule — ein Rap-Video gegen Ausgrenzung — und des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums machten deutlich, warum die Erinnerung auch in der heutigen politischen und gesellschaftlichen Situation weiter wichtig ist: Das „Nie wieder!“ dürfe kein Lippenbekenntnis sein, die Demokratie brauche die Demokraten, und jeder habe eine Stimme, um sie zu gestalten.

Seit 1996 ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland auf den 27. Januar festgelegt: Am 27. Januar 1945 befreite die sowjetische Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Weil der Tag 2024 auf einen Samstag fiel, war das von den Schülerinnen und Schülern gestaltete Gedenken auf den darauffolgenden Montag verlegt worden.

Stadtgespräch

Stadt gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus

Bewegendes Erinnern: Oberbürgermeister Schranz mahnte, Antisemitismus entgegenzutreten. Schülerinnen und Schüler gestalteten Feierstunde.

Mit einer bewegenden Feierstunde hat die Stadt Oberhausen am Freitag in der Gesamtschule Osterfeld den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Schülerinnen und Schüler von neun Oberhausener Schulen gestalteten das Gedenken, zu dem zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden, aus Politik, Verwaltung und der Bürgerschaft gekommen waren. International wird am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, an die vielen Millionen Menschen erinnert, die das NS-Regime zwischen 1933 und 1945 entrechtete, verfolgte, quälte und ermordete.

27.01.2023
Foto: Stadt Oberhausen/Tom Thöne

Dass das Gedenken in den Oberhausener Schulen weiter einen sehr hohen Stellenwert hat, zeigte das Programm der Feierstunde. Schülerinnen und Schüler der gastgebenden Gesamtschule Osterfeld, der Gesamtschule Weierheide, der Fasia-Jansen-Gesamtschule, der Anne-Frank-Realschule, des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, des Heinrich-Heine-Gymnasiums, des Sophie-Scholl-Gymnasiums, des Elsa-Brändström-Gymnasiums und des Hans-Sachs-Berufskollegs hatten Beiträge vorbereitet – vom Theaterstück über Wortbeiträge und einer Kunstausstellung bis zu Musikvideos.

Der Schwerpunkt der Beiträge lag in Geschichten, in denen es um Oberhausener Opfer oder um Anne Frank oder Sophie Scholl ging, aber auch Diskriminierung in der Gegenwart war Thema. Aus der Gesamtschule Osterfeld war in den Tagen unmittelbar vor dem 27. Januar noch eine Schulgruppe in die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora gereist und brachte ihre Eindrücke davon in die Gedenkfeier ein. Andere Schülerinnen und Schüler berichteten von ihren beklemmenden Erfahrungen bei den Besuchen des Vernichtslagers Auschwitz oder des Konzentrationslagers im belgischen Fort Breendonk.

Oberbürgermeister Daniel Schranz erinnerte exemplarisch für die Oberhausener und alle Opfer des Holocaust an die jüdische Familie Wolf, die bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten über Generationen in Holten gelebt hatte. 1942 wurde die ganze Familie – Vater Julius, Mutter Alice, der 17-jährige Kurt und die zwölfjährige Hannelore – ins Vernichtungslager Trostinez bei Minsk deportiert und nach wenigen Tagen dort ermordet. Schranz erinnerte aber auch daran, dass Antisemitismus kein Phänomen der Vergangenheit ist: „Wir müssen allen Formen des Antisemitismus entgegentreten. Wir müssen deutlich machen, dass wir diese und andere Formen der Ausgrenzung in unserer Gesellschaft nicht dulden“, mahnte der Oberbürgermeister.

Der Leiter der Gesamtschule Osterfeld betonte ebenfalls, warum das Gedenken der Opfer der Vergangenheit auch für die Zukunft wichtig ist: „Die Erinnerung an den Holocaust macht uns auch wachsam dafür, dass Menschen heute und in der Zukunft nicht ausgegrenzt und als vermeintlich ungleichwertig benachteiligt, unterdrückt und getötet werden dürfen“, Dr. Gregor Weibels-Balthaus in seiner Rede.

Die Feierstunde war seit Beginn der Pandemie die erste, die wieder im großen Rahmen begangen werden konnte. „Ein besonderer Dank gebührt dem Kollegium und der Schülerschaft der Gesamtschule Osterfeld, die mit viel Engagement und vielen neuen Impulsen einen würdigen Rahmen für die Gedenkfeier bereitet haben“, sagte Gedenkhallen-Leiter Clemens Heinrichs.