Gutes Leben | Stadtgespräch
Sonnenblume als Signal: Tag der nicht sichtbaren Behinderung
Die meisten Menschen denken bei einer Behinderung vermutlich zuallererst an Menschen im Rollstuhl, an Amputationen oder anormale Gliedmaßen. Behinderungen, die zumeist auf den ersten Blick zu erkennen sind und somit das Verhalten des Gegenübers steuern. Man ist höflich, rücksichtsvoll, hilfsbereit. Dabei gibt es zahlreiche Behinderungen, die nicht zu erkennen sind und zu atypischen Reaktionen führen können. Die sozialen Folgen können erheblich sein. Für die damit einhergehenden Probleme soll am Sonntag, 20. Oktober 2024, dem Tag der nicht sichtbaren Behinderung, mehr Bewusstsein geschaffen werden.
Ob ADHS, Demenz, Epilepsie, Autismus, Multiple Sklerose, Depressionen, Migräne oder Folgen von Krebs oder eines Schlaganfalls – die Liste der Erkrankungen und den daraus folgenden, nicht sichtbaren Behinderungen ist lang. Da die Betroffenen nicht selten zu atypischen Reaktionen neigen, erschwert das deren Teilhabe am öffentlichen Leben erheblich. Sie stoßen auf verständnislose Blicke oder Reaktionen wie „Stell dich nicht so an“.
Sensibel im Umgang
Innerhalb der Oberhausener Stadtverwaltung ist im Bereich Chancengleichheit die Koordinierungsstelle Inklusion angesiedelt. Andrea Kreischer unterstützt von hier aus Maßnahmen und Projekte, welche die Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben von Menschen mit Behinderung in Oberhausen verbessern. „Wir wollen den 20. Oktober dazu nutzen, um aufzuzeigen, wie hoch der Bedarf ist, Menschen im Umgang mit nicht sichtbaren Behinderungen zu sensibilisieren.“ Auch ansonsten nutze man Termine wie den Weltkindertag, Gesundheitstage oder das Spiel- und Sport Wochenende in Sterkrade, um die Öffentlichkeit für dieses Thema zu gewinnen. Kreischer nennt ein Beispiel, welches die Notwendigkeit eines stärkeren Bewusstseins belegt: „Es gibt einfach Behinderungen, mit denen ein Termin bei einer Behörde nicht wie in sonst gängiger Form durchgeführt werden kann. Wir wünschen uns daher auch eine stärkere Sensibilisierung bei den Menschen, die in der öffentlichen Verwaltung arbeiten.“
Andere Wahrnehmung
Silvia Prochnau ist Mutter eines 22-jährigen Autisten, beim dem auch ADHS und Epilepsie diagnostiziert wurden. Aktuell befindet er sich in einer kaufmännischen Ausbildung. Prochnau ist seit 2016 Vorsitzende des Vereins „autismus-einfach-anders“. Sie schildert, dass Autisten Reaktionen und Emotionen ihrer Gegenüber nicht oder oft nur schwer einschätzen können. Sie haben große Probleme, ihre Umwelt als Ganzes zu verstehen, nehmen sie anders wahr, suchen selten einen Blickkontakt. In der Folge sei ihr Sohn nach langen Tagen in der Berufsschule auch sehr erschöpft.
Stille Stunde
Silvia Prochnau berichtet von einer Initiative, die auf die Über- und Unterempfindlichkeiten Betroffener eingeht, die Idee der „Stillen Stunde“ beim Einkaufen. Diese soll Menschen helfen, die unter einer Reizüberflutung leiden. Grelles Licht, laute Durchsagen, Musik, viele Menschen – in einer „Stillen Stunde“ hingegen kann Licht gedimmt werden, es wird auf Musik und Durchsagen und ebenso auf laute Handy-Gespräche verzichtet. Das würde Betroffenen ein entspannteres Einkaufen ermöglichen. Leider habe sie auf ihre Anfragen in Oberhausen noch kein positives Echo erfahren.
Sonnenblume als Zeichen
Als einen wichtigen Schritt zu mehr Verständnis begrüßen Andrea Kreischer und Silvia Prochnau die Idee, die Sonnenblume für Menschen mit versteckten Behinderungen als Symbol zu nutzen, mit dem sie freiwillig mitteilen können, dass sie ein Leiden haben, das vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar ist und dass sie vielleicht eine helfende Hand, Verständnis oder mehr Zeit in Geschäften, bei der Arbeit, in Verkehrsmitteln oder im öffentlichen Raum benötigen. Man trägt ein Schlüsselband mit Sonnenblumenmotiv, daran vielleicht noch ergänzend eine Textkarte mit zusätzlicher Information, die zum Beispiel auf Sprachstörungen und Orientierungsprobleme hinweist. Erstmals umgesetzt wurde diese Idee 2016 auf dem Londoner Flughafen Gatwick und wird seitdem vielerorts immer bekannter, alleine an 220 Flughäfen. Der BER in Berlin ist der erste Flughafen in Deutschland, der das sogenannte „Sunflower Badge“ aushändigt. Leider ist die Umsetzung ansonsten noch sehr wenig verbreitet in Deutschland, bedauern Kreischer und Prochnau.
Ein Mittel wiederum, selbst die eigene Stimmung zu vermitteln, können Pins mit einem Schieber sein. Die sind allerdings so klein, dass man sie nur etwa in der Schule oder einem sonstigen engen Umfeld nutzen kann.
Weitere Informationen finden Interessierte im Internet unter www.stille-stunde.com sowie unter www.autismuseinfachanders.de.